Hintergrundinformationen

Interview von Annelen Bergenthum mit Dr. Verena Klusmann
Dr. Dipl.-Psych. Verena Klusmann
Leitung DFG-Netzwerk Altersbilder Universität Konstanz, Psychologische Diagnostik & Gesundheitspsychologie

“Ruhestand bedeutet Herausforderung und Chance” 
Dipl.-Psychologin Dr. Verena Klusmann über Vorbereitungen für einen glücklichen Ruhestand – und was die Gesellschaft dafür tun kann 

Immer mehr Menschen erreichen das Rentenalter – dank höherem Lebensstandard und besserer medizinischer Versorgung bei guter Gesundheit. Aus der Ruhestandsforschung weiß man, dass Menschen diese Zeit als positiv empfinden, wenn sie das Gefühl haben, die Kontrolle darüber zu haben. Doch wie lässt sich ein Übergang in den Ruhestand vorbereiten? Welche innere Einstellung ist dafür wichtig? Und was kann die Gesellschaft tun? Dipl.-Psychologin Verena Klusmann empfiehlt jedem einzelnen eine Mischung aus Planung und Offenheit - und der Gesellschaft ein stärkeres Miteinander. 

 

Frau Klusmann, was ist die große Herausforderung für den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand? 

Es ist wie jede neue Lebensphase eine große Umbruchphase. Man muss gewohnte Routinen aufgeben und einen neuen Alltag gestalten, der bisher durch die Arbeit geprägt war. Das bedeutet Herausforderung und Chance gleichzeitig. 

 

Inwieweit kann und sollte man das planen?


Es sollte sich die Waage halten. Einerseits sind Strategien gut. Man kann sich zum Beispiel Listen anlegen mit Dingen, die man schon immer mal machen wollte. Da dürfen auch ganz verrückte Sachen draufstehen, denn wir wissen: Je neuer die Aufgaben im Alter sind, desto besser. Andererseits ist es auch wichtig, offen zu bleiben, denn bestimmte Dinge werden sich ganz anders darstellen als man dachte. Also Pläne sind gut – aber dabei sollte man offen bleiben für das, was kommt. 

 

Was kann konkret auf solchen Listen stehen?

Dafür bieten sich diverse Fragen an, wie etwa: Was könnte ich mit meiner freien Zeit anfangen? Was ist bisher auf der Strecke geblieben? Wie kann ich mich engagieren? Was macht mir Angst? Was fällt mir leicht? Das kann auch eine kritische Bilanz sein: Möchte ich Dinge aufgeben und loslassen? Worauf bin ich stolz? Was möchte ich nicht missen? Ich empfehle, sich zu überlegen, wie der erste freie Tag aussehen kann: Was werde ich machen? Gibt es neue Rituale, die ich etablieren kann, die mir Struktur und Sicherheit geben? Möchte ich etwas ganz anders machen?  

 

Wann sollte man damit beginnen, solche Listen anzufertigen?

Da gibt es kein festes Datum. Sobald Ideen kommen und man merkt, dass man sich mit dem Thema “Ruhestand” befasst, kann man damit anfangen. Das kann man auch in jüngeren Jahren schon machen – vielleicht schmunzelt man dann später darüber, was man sich damals vorgestellt hat. Aber vielleicht steht dann auch eine gute Idee auf dem Zettel, die im Alltag verloren gegangen ist und die man wieder aufgreifen kann. 

 

Im Erwerbsleben bringt der Beruf dem Alltag eine gewisse Struktur. Inwieweit sollte man sich für den Ruhestand neue Routinen zulegen? 

Das ist natürlich typenabhängig, wer wieviel Struktur braucht. Generell ist es sinnvoll, eine gewisse Vorstellung davon zu haben, wie die erste freie Woche aussieht: Wann stehe ich auf? Möchte ich frühstücken? Ein Buch lesen? Möchte ich Freunde treffen oder etwas erledigen? Das ist sinnvoll, damit man nicht völlig unvorbereitet an seinem ersten freien Tag da sitzt und sich fragt: Und nun? Sich ein paar Dinge für die erste Woche vorzunehmen, kann da sehr hilfreich sein. 

 

Sie sagen, dass eine gewisse Offenheit und Lockerheit wichtig ist für den Eintritt in den Ruhestand. Wie erhalte ich mir das?

Wichtig dafür ist es, die eigenen Altersbilder zu hinterfragen und zu überdenken. Denn die Art, wie ich das Alter sehe, hat große Auswirkungen darauf, wie ich tatsächlich später lebe. Am besten geht das im Austausch zwischen den Generationen – und zwar ohne Sätze wie: “Ach, wie überraschend, dass eine 70-Jährige so offen und kreativ ist und so anregende Gedanken für mich hat.” Wir müssen es vielmehr als Selbstverständlichkeit ansehen, dass wir in jeder Lebensphase auf Personen treffen können, die uns möglicherweise viel näher sind als Gleichaltrige. Insgesamt müssen wir es als Gesellschaft schaffen, dass es eine stärkere Durchlässigkeit und weniger Parallelwelten der Generationen gibt. 

 

Wie schaffen wir das? 
Es gibt schon einige gute Projekte und Ansatzpunkte. Beispielsweise wird im Sport- und Bewegungsbereich wieder mehr geguckt, dass man Gruppen durchmischt. Spannend sind auch Projekte, bei denen Kinder wieder ältere Menschen erleben können – beispielsweise durch Lese-Patenschaften. Es ist gut, gemeinsam Wohnprojekte zu planen, bei denen es eine Win-Win-Situation für alle gibt, wenn es um Kinderbetreuung oder das Einkaufen beispielsweise geht. Ich glaube aber, dass wir weiterhin noch in einer zu separierten Situation leben und es zu wenig Miteinander gibt. Da müssen die Potenziale noch mehr erkannt und genutzt werden. 

 Vielen Dank für das Gespräch.

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