Schluss mit lustig
2023 geht an den Start und in der ersten Ausgabe DER SPIEGEL findet sich ein langes, lesenswertes Interview mit dem Gründer des Zirkus Roncalli, Bernhard Paul.
Und auch hier kommt es wieder zu Altersdiskriminierung, die es sogar in den Titel des Beitrages schafft:
Ich höre nicht auf! Lassen Sie mich doch arbeiten
Es ist schon traurig zu sehen, wie die Redakteure in das einfach Narrativ „älter als X = arbeitsunfähig“ verfallen. Würden sie die Frage: „Wann ist es Zeit abzutreten?“ im Kontext zum Gesundheitszustand oder kaufmännischen Fehlern stellen wäre ich dabei, aber „Sie sind 75. Wann ist es Zeit abzutreten?“ ist Altersdiskriminierung pur. Paul ist aber nicht nur Geschäftsführer von Roncalli, sondern war auch der Clown Zippo. Spätestens beim 50-jährigen Roncalli-Jubiläum will Paul auch wieder als Zippo auftreten, das wäre 2026.
Warum soll es einem Clown besser gehen als den meisten Arbeitnehmern?
Sie, ich, wir alle leben in einer Gesellschaft die es sich gerne einfach macht. „Zu jung“ und „Zu alt“ sind pauschale Bewertungen ohne sich mit einem Menschen direkt auseinander zu setzen. Das ist nicht nur bequem, sondern reduziert auch die Gefahr, dass man erkennen muss, dass die eigenen Altersstereotypen veraltet sind.
Viele Arbeitnehmer erfahren zum Ende ihres Berufslebens ähnliche Situationen. Ausschluss von betrieblicher Bildung oder Einsatz in einem „Sonderprojekt“ sind hier zwei der gängigen Methoden. In diesem Kontext wird im Englischen Sprachraum vom „grey sidelining“ gesprochen.
Grey sideline, die graue Seitenlinie ist eine imaginäre Seitenlinie. Sie hindert Menschen aber sehr real daran, Teil des Teams zu sein und ihren Beitrag zum Erfolg zu leisten. Die Position am Rande oder außerhalb des Spielfelds hat sehr greifbare Konsequenzen für die Person, die an den Rand gedrängt wird, aber auch für das Unternehmen und dessen Führungskräfte.
Es geht um "Bore-out", Enttäuschungen und Frustration bei den Beschäftigten. Dieses schlechte Gefühl führt zu einer negativen Arbeitseinstellung, die wiederum die Stellung außerhalb des Spielfeldes festigt. Für Unternehmen bedeuten frustrierte Mitarbeitende ein schlechtes Image, steigende Kosten und die Bestätigung der Haltung, dass Ältere nicht mehr leistungsfähig und obendrein auch schwierig zu führen sind.
Der Älteste und der Beste
Die National Football League, kurz NFL, ist die US-amerikanische Profiliga im American Football.
Tom Brady gilt aufgrund vieler Siege, Auszeichnungen und Rekorde als mit Abstand der beste Quarterback, quasi Spielführer, aller Zeiten der NFL. Aber nicht nur das. Er ist mit Abstand der Älteste aktive Spieler der NFL. Zu Beginn der aktuellen Saison 2022/2023 ist er 45,5 Jahre alt und damit sechs Jahre älter als der zweitälteste Spieler in dieser Saison. Zeitgleich ist er der älteste Quarterback der NFL, für die siebte Saison in Folge. Er spielt seine 23. Saison als Quaterback in einer Liga, in der Quaterbacks im Durschnitt nur für vier Saisons antreten.
Bemerkenswert an seiner Profikarriere ist sein kurzer Ruhestand. Nach Ende der Saison 2021 gab er am 1. Februar 2022 sein Karriereende bekannt. Am 13. März 2022 gab Tom Brady jedoch bekannt, dass er eine weitere Saison spielen wird. Auf Twitter teilte er mit „In den letzten zwei Monaten habe ich erkannt, dass mein Platz immer noch auf dem Feld und nicht auf der Tribüne ist“, schrieb Brady. „Diese Zeit wird kommen. Aber es ist nicht jetzt.“
Brady hat sich selbst von der (grauen) Seitenlinie genommen.
Egal, ob mit Unterbrechung oder nicht, viele Menschen merken, dass sie gerne im Spiel bleiben möchten. Der Weg dahin wird oft mit dem Totschlagargument „zu alt“ abgelehnt.
Es ist höchste Zeit, dass sich diese Haltung bei Unternehmen ändert, denn in den nächsten 15 Jahren gehen laut Statistischem Bundesamt 13 Millionen Erwerbstätige in den Ruhestand, ein Drittel aller dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen.
Ich bin mir sicher, dass es bald heißen wird: „Sie sind erst 65, wollen Sie noch weiter für uns tätig sein?“ und das gilt nicht nur für Clowns oder Quaterbacks.
Auf dem Arbeitsmarkt ist Schluss mit lustig.